Träge Transformation – nicht mit samarbeid

In ihrem im Frühjahr 2022 erschienenen Buch „Träge Transformation. Welche Denkfehler den digitalen Wandel blockieren“ durchstreifen Johanna Sprondel und Sascha Friesike acht Missverständnisse der Digitalen Transformation. Sie gehen der Frage nach, warum wir bei der Digitalisierung zwar „stets bemüht“ sind, aber leider nur mäßigen Erfolg haben. Mit samarbeid sind wir angetreten, um genau das zu verhindern. Denn samarbeid ist nach dem Motto gebaut „Digitalisierung einfach machen“. Aber reicht das?

Johanna Sprondel, Professorin für Medien, Kommunikation und Marketing an der macromedia Hochschule in Stuttgart, und Sascha Friesike, Professor für Design digitaler Innovationen an der Universität der Künste Berlin, haben sich in einem kurzen Essayband die Frage gestellt, warum die digitale Transformation in Deutschland oft so träge ist („Träge Transformation. Welche Denkfehler den digitalen Wandel blockieren“. Reclam 2022). Das spannende an Ihren Gedanken: Gerade weil wir fleißig Digitalisierungsprojekte starten, stehen wir oft inmitten von Missverständnissen, die uns lähmen statt beflügeln. So bleiben wir zwar „stets bemüht“ aber leider nur mit mäßigem Erfolg.

Kurzweilig und launig werden acht Missverständnisse rund um das Thema digitale Transformation seziert. Und alle, die irgendwie schon mit Digitalisierungsprojekten oder Initiativen zu tun hatten, finden sich dort wieder. Wenn wir vor lauter „Moonshot Thinking“ die Digitalisierung eines einfachen Reklamationsprozesses versäumen und gleichzeitig an visionären, tiefgreifenden digitalen Transformation scheitern, weil wir nicht die Leute, die Fähigkeiten und das Geld haben, aus unrealistischen Ideen Realitäten werden zu lassen.      

Natürlich ist es spannend und auf jeden Fall auch amüsant zu lesen, warum das alles nicht geht. Doch wir als samarbeid-Team arbeiten ja hart daran, dass die Digitalisierung vorangeht. Denn wir wollen, dass es voran geht. Und daher ist es für uns noch spannender zu schauen, ob wir mit samarbeid an der einen oder anderen Stelle etwas richtig machen – weil wir gute Antworten auf die von Johanna Sprondel und Sascha Friesike skizzierten Missverständnisse finden.

Uns als samarbeid-Team springt in dem Essay-Band als erstes das Missverständnis „Transparenz durch Sichtbarkeit“ ins Auge. Denn Transparenz ist eine unserer ganz wichtigen Designentscheidungen in samarbeid. Samarbeid ist geprägt von einem kooperativen Menschenbild. Wir sind überzeugt, dass man gemeinsam bessere Ergebnisse erzielt. Und dafür braucht es Transparenz – denn nur was man gemeinsam sieht, kann man auch gemeinsam bearbeiten. Und trotzdem gibt es Einschränkungen der Sichtbarkeit in samarbeid – also das Gegenteil von Transparenz. Man kann Aufgaben und Dossiers nur für einen Teil des Teams sichtbar machen. Arbeitsteilung erfordert es, dass nicht alle alles sehen dürfen. Aber gleichzeitig ist samarbeid zu gestaltet, dass viele vieles sehen dürfen. Und in samarbeid darf man (fast) alles, was man sieht, auch ändern. Klar, das erfordert Vertrauen in alle. Bringt aber gleichzeitig viel Felxibilität – da nicht alle Rechte bis ins Detail spezifiziert werden müssen. Ja, wir erwarten Vertrauen. Und machen dieses Vertrauen durch Transparenz möglich. In samarbeid werden alle Änderungen in der Historie dokumentiert. So kann leicht nachvollzogen werden, wer etwas gemacht hat – falls es doch einmal zu Konflikten oder Vertrauensbrüchen kommt. Wir sehen also Transparenz als zentralen Ermöglicher der flexiblen und offenen Art digitaler Zusammenarbeit in samarbeid.

Und nun lesen wir von „Transparenz durch Sichtbarkeit“ als eines der großen Missverständnisse der digitalen Transformation? Zuerst wird in einem wunderbaren Bildnis beschrieben, das Transparenz kein Selbstzweck ist, sondern immer Mittel zum Zweck – so wie in samarbeid. „In den meisten Fällen verhält es sich mit der Transparenz ähnlich wie mit Fenstern. Niemand sammelt Fenster und niemand möchte die Anzahl der Fenster nur deshalb erhöhen, um noch mehr Fenster zu besitzen. Fenster sind Mittel zum Zweck. Man braucht sie, damit Licht durch sie in die Räume gelangen oder damit man durch sie hindurch nach draußen schauen kann, aber nicht um anderen mitzuteilen, dass man jetzt noch mehr Fenster hat.“ Und genau dieser Blick ermöglicht Accountability, so wie wir das in samarbeid erreichen wollen. Also alles richtig gemacht? Die Autoren bremsen unseren Elan. Denn sie argumentieren, dass Transparenz auch die Accountability herabsetzen kann. Denn „wissen wir, dass wir etwas transparent machen müssen, führt dies bereits dazu, dass wir uns Gedanken darüber machen, was denn genau offengelegt werden soll.“ Natürlich gibt es diesen Effekt auch in samarbeid. Wenn man absolut nicht will, dass eine Disskussion in einer Aufgabe dokumentiert wird, dann wird man nicht die Kommentarfunktion nutzen – sondern anrufen, persönlich sprechen oder per Messenger diskutieren. Aber das ist kein technisches Problem, sondern Disfunktionalität in der Organisation. Mangelndes Vertrauen, Missgunst, Neid, etc. Die Organisation muss an diesen Defiziten arbeiten. In samarbeid sehen wir den Nutzen der Accountability durch Transparenz als viel höher an, als die nicht wegzudiskutierenden Defizite – denn sie ermöglichen uns das System einfacher zu designen und damit Digitalisierungsbarrieren zu verringern.

Natürlich fühlen wir uns auch von dem Missverständnis „Technologie ist die Lösung“ herausgefordert – denn wir liefern Technologie, um das „Digitalisierungsproblem“ für kleine, digitalisierungswillige Organisationen mit geringer IT-Kompetenz zu lösen. Verstärkt samarbeid etwa das Problem statt es zu lösen? Nein. Wir können uns gleich zu Beginn von Sprondels und Friesikes Analyse bestätigt. Sie beschreiben wie emerging technologies – hier können wir jetzt beliebige Buzzwords der vergangenen Jahre von KI bis Blockchain nehmen – zu spekulativen Räumen aufgeblasen werden, in die viele Hoffnungen hineinprojeziert werden – und alle versuchen alles mit diesen Technologien umzusetzen, Hauptsache es ist Blockchain oder irgendwas mit KI. Genau das ist samarbeid nicht. Samarbeid nutzt bestehende Technlologie auf clevere Art und Weise, um Digitalisierung auch den Teams selbstbestimmt zugänglich zu machen, für die die Barrieren bisher zu hoch waren. Mit samarbeid bauen wir keine spekulativen Räume, sondern ganz solide, im Alltag sofort nutzbare „digitale Büros“ für die Organisationen, die samarbeid verwenden. So können wir – wenig bescheiden – behaupten, dass unsere Technologie tatsächlich eines Lösung für die schleppende Digitalisierung in unserem Land ist.

Doch was hat es mit dem Missverständnis „Neues entsteht durch Vernetzung“ auf sich? Ist das nicht genau das Thema von samarbeid? Samarbeid ermöglicht die einfache Zusammenarbeit, mit den Leuten im Team und Leuten, die im Austausch mit uns stehen. Samarbeid ist also ein aktives Werkzeug für die Vernetzung. Und sogar die Daten in samarbeid sind vernetzt. Alles ist darauf angelegt, dass man Querbezüge und Referenzen zwischen Aufgaben, Dossiers und Nutzer:innen erstellen und wiederverwenden kann. Wir erhoffen uns, dass daraus Neues ensteht. Ist auch das ein Missverständnis? Sind auch wir Teil des „Vernetzungs-Imperativs“. Mit dem entscheidenden Nebeneffekt, dass „durch die gesunkenen Vernetzungskosten die eigentliche Arbeit häufiger unterbrochen wird. […] In vielen Organisationen wird Arbeit in einer Intensität gestört, dass es zu regelrechten >Informationsthrombosen< kommt. Hier werden einzelne Personen so oft unterbrochen, dass sie kaum noch Zeit finden, ihrer eigentlichen Tätigkeit nachzukommen.“ Sind wir mit samarbeid mit dafür verantwortlich, dass auf Grund ständigen „Pling, Pling“ die Zeit zum echten Nachdenken, zum Sinnieren über etwas Neues verloren geht? Klar man kann samarbeid so nutzen, dass genau das passiert. Aber man kann samarbeid auch so einsetzen, dass genau das nicht passiert. Denn samarbeid hilft uns fokussiert zu bleiben. Aufgaben in samarbeid sind klar benannt, Kommunikation findet immer innerhalb von Aufgaben statt – der Kontext ist stabil und gibt den Rahmen der aktuellen Kommunikation vor. Und mit samarbeid gelingt es der Organisation den Überblick zu wahren – zu sehen, wo sie gerade steht und was zu tun ist. Gut genutzt verringert samarbeid das Gefühl des „Untergehens“ in zu vielen Sachen, die gleichzeitig gemacht werden müssen. Und dort wo Ordnung und Übersicht wahrgenommen wird, findet sich auch Raum und Ruhe, um allein oder gemeinsam – und auch gern analog – Dinge zu durchdenken und Probeleme von Grund auf zu lösen.

Sprondel und Friesike beenden ihre Gedankenexkursion durch die Missverständnisse, die unsere digitale Transformation lähmen, mit Gedanken zu „Was wir von Lenin über Revolutionen, Bahnhöfe und die Deutschen lernen müssen, wenn aus der digitalten Transformation doch noch etwas werden soll.“ Zusammenfassen kann man dies in den von ihnen angeführten Lenin-Zitat „dass die Erstürmung eines Bahnhofs hierzulande schon an der Angewohntheit scheitern würde, dass jeder Beteiligte meine, erstmal eine Bahnsteigkarte lösen zu müssen.“ Da ist so einiges dran, wenn man sieht, wie mit Digitalisierungsworkshops, Hackathons und Demonstrationsprojekten versucht wird, die Digitalisierung voranzutreiben. Aber glücklicherweise müssen wir uns mit samarbeid diesen Schuh nicht anziehen. Denn samarbeid ist nach dem Motto gebaut „Digitalisierung einfach machen“. Mit samarbeid kann man loslegen, Dinge ausprobieren, gute Dinge leicht verstetigen, schlecht laufende Dinge leicht anpassen. Und das alles ohne voher in einem halbtägigen Konzeptionsworkshops das nächste Moonshot-Projekt geplant zu haben.